Plusvisionen

Schöne neue Null-Zins-Welt?

Es geht um 200 Billionen Dollar. So viele Schulden soll es auf unserem Globus laut dem McKinsey Global Institut geben. Schulden sind die Triebfeder unseres Wirtschafts- und Geldsystems. Sie halten es am Laufen, bringen es in Schwung oder wahlweise zum Erliegen, wenn die Kreditnachfrage lahmt. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008/2009 war das so. Weltweit stoppte abrupt die Wirtschaftstätigkeit, weil sich die Banken untereinander zutiefst misstrauten und der Kredit-Markt kollabierte. Erst als die Notenbanken die Geschäftsbanken mit Liquidität/Geld fluteten, regte sich in der Wirtschaft wieder etwas.

Durch Schulden wird Geld geschaffen, Fiat-Geld (Papier-Geld). Die Geschäftsbanken schöpfen es mit Genehmigung der Notenbanken bei der Vergabe von Krediten quasi aus dem Nichts. Dazu brauchen die Geschäftsbanken nur wenig Zentralbankgeld, woraus derzeit fast unbegrenzt viel Geld, unser Geld, entstehen kann.

Hinzu kommt, dass International Notenbanken Staatsschulden aufgekauft haben oder noch aufkaufen. Die amerikanische Zentralbank Federal Reserve (Fed) wurde so einer der größten Gläubiger der USA. Die Bank von Japan und die Europäische Zentralbank (EZB) nehmen nach wie vor mit frisch gedrucktem Geld Staatsanleihen in ihre Bilanz, wodurch zusätzlich Geld auf den Markt kommt, Geld im Überfluss und zum Nulltarif.

Logisch, dass der Zins als Preis für das Geld dabei nahezu verschwunden ist. Für 10-jährige Bundesanleihen mussten zeitweise nur noch 0,05 Prozent Rendite vom Staat gezahlt werden. Das ist nur noch ein Hauch von Zins. Deutschland konnte sich zu diesem Zeitpunkt fast zinslos verschulden. Aber auch Konsumenten und Häuslebauer, die einen Kredit brauchen, dürfen sich nach wie vor freuen, sie bekommen diesen zu sehr geringen Zinssätzen.

Sind wir den Zins, dem schon immer etwas Unmoralisches und Verwerfliches anhing, damit los? Geld sei aus dem Tausch entstanden, philosophierte einst Aristoteles, doch durch den Zins vermehre sich dieses Geld durch sich selbst, was sehr deutlich dem Naturrecht widerspreche. Martin Luther bezeichnete den Zins als „größtes Unglück“. Dagegen sprachen Albert Einstein und der Bankier Mayer Amschel Rothschild von Zins beziehungsweise Zinseszins als die „größte Erfindung des menschlichen Geistes“ beziehungsweise als das „achte Weltwunder“.

Was ist eigentlich der Zins? Könnten wir uns Geld nicht gegenseitig einfach so leihen? Wenn einer zu viel Geld hat, überlässt er es einem anderen auf Zeit, der etwas Besseres (Investitionen) damit anzufangen weiß, ganz ohne Zins? Aber mal ehrlich, wer wäre dazu bereit? Sparen (Geld ansammeln) ist schließlich meist auch Konsumverzicht im Jetzt, um später mehr zu haben (Altersvorsorge) oder sich etwas leisten zu können (Anschaffung). Für diesen Konsumverzicht möchte man in aller Regel entlohnt werden. Und wer weiß schon, ob man in Zukunft noch das Gleiche für sein Geld bekommt, sollte sich das Geld entwerten (Inflation). Für beides, Konsumverzicht und Inflationsrisiko, wünscht sich der Gläubiger in aller Regel einen Ausgleich, den Zins.

Die Krux am Zins ist vor allem der Zinseszins (Zinssatz auf den Zins). Dieser wächst exponentiell, was wir Menschen uns nur sehr schwer vorstellen können. Beispiel Josephspfennig (oder Josephscent): Hätte Joseph für seinen Sohn Jesus im Jahre Null einen Cent zu fünf Prozent angelegt, wären durch den Zinseszinseffekt heute daraus umgerechnet 52 Sonnen aus purem Gold oder knapp 50 Sextilliarden Euro (eine Zahl mit 39 Nullen) geworden. Nach 62 hätte der Zins bereits die Größe des Startkapitals erreicht. Übrigens: Ohne Zinseszinseffekt hätte sich der eine Cent heute nur zu gut einem Euro vermehrt.

Der Zinseszinseffekt und generell der Zins bedeutet, dass dieser von den Marktteilnehmern erwirtschaftet werden muss, was immer schwerer wird im Zeitablauf und sich Wohlstand zunehmend an wenigen Stellen sammelt. Vuglo: Viele müssen für wenige arbeiten. Schulden können so zum Problem werden. Der Ökonom und Liberale Ludwig von Mises schrieb einmal: „Es gibt keinen Weg, den finalen Kollaps eines Booms durch Kreditexpansion zu vermeiden. Die Frage ist nur, ob die Krise durch freiwillige Aufgabe der Kreditexpansion kommen soll oder später zusammen mit einer finalen und totalen Katastrophe des Währungssystems kommen soll. “

Erleben wir insofern eine freiwillige Aufgabe der Kreditexpansion durch das Absenken der Leitzinsen auf Null und das gleichzeitige Aufkaufen der Staatsanleihen durch die Notenbanken? Versucht man dadurch den 200-Billionen-Dollar-Schuldenberg abzubauen? Mit Wachstum und Inflation ist das tatsächlich möglich, da der „Zinseszinseffekt“ in Form von Inflation Schulden (und Vermögen) ebenso entwerten kann. Die US-Amerikaner haben das nach dem Zweiten Weltkrieg schon einmal erfolgreich praktiziert.

Wer spart, erlebt das bereits auch heute. Guthaben verzinsen sich nicht mehr – kommt noch Inflation dazu, schrumpfen sie sogar. Sparer könnten deshalb versucht sein, jetzt noch mehr Geld auf die Seite zu legen, um im Alter versorgt zu sein, Geld, das nun für den Konsum fehlt würde. Die Folge: Die Konjunktur könnte Schaden nehmen. Dadurch würde die Nullzinspolitik der großen Notenbanken zumindest in diesem Punkt ad absurdum geführt, da als ein gewichtiges Argument für die Nullzinspolitik immer auch die konjunkturbelebende Wirkung angeführt wird.

Ganz nebenbei gerät auch das Geschäftsmodell der Geschäftsbanken und der Sparkassen ins Wanken, das vor allem auf Fristentransformation und Leverage fußt. Sparkassen-Chef Georg Fahrenschon geißelt deshalb immer vehementer die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) und Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret kritisiert die deutschen Banken für die oftmals hohe Abhängigkeit vom Zinseinkommen, welche die Profitabilität beeinflusse. Er forderte deshalb schon wiederholt die Geldinstitute auf, ihr Geschäftsmodell „auf den Prüfstand“ zu stellen.

Und das Bargeld? Der Ökonom Peter Bofinger fordert kürzlich seine Abschaffung, damit negative Zinsen leichter durchzusetzen seien, weil dann das Ersparte nicht mehr in den Strumpf wandern könnte. Das hieße auch: In der neuen Null-Zins-Welt sollen wir in Geld-Dingen nicht so sehr an die Zukunft denken. Konsumieren im Hier und Jetzt, mehr nicht. Erspartes für Investitionen wird nicht mehr gebaucht, Geld ist schließlich genug da. Es scheint so, als schwinde mit dem Zinsen auch der Vorsorge-Gedanke.

Der Zins ist so gut wie weg (und wird auch nicht so schnell wiederkehren). Das verlangt ein Umdenken.

Wie und wie viel sparen wir in Zukunft? Wird es eine finanzielle Vorsorge auf Zins-Basis noch geben? Aktien, also die Beteiligung an Produktivvermögen könnte hier eine Alternative zu Zins-Anlagen sein.

Was bedeutet es für Investitionen wenn es Geld, bedingt durch die Liquiditätsflut der Notenbanken, zum Nulltarif gibt? Wird sinnlos investiert ohne die lenkende Wirkung des Zinses, schließlich ist der Zins auch ein Risikomaß? Entstehen Spekulationsblasen oder ist es Auftakt zu einer wunderbaren neuen Gründerzeit?

Besteht ohne Zins und Zinseszins die Chance auf eine gerechtere Verteilung (ein hehres Ziel) des Geldes insgesamt? Sind Null-Zinsen letztlich nur der Auftakt für einen großen System-Reload?

Müssen Banken und Sparkassen künftig stärker auf Beratung setzten und dafür ein Honorar verlangen oder, in der intransparenteren Variante, eine Provision?

Wir haben uns an den Zins gewöhnt, das heißt aber nicht, dass es nicht vielleicht sogar besser ohne ihn gehen könnte.

 

Bildquelle: Screenshot

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