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Goldman-Sachs-Stratege Andrew Wilson // Fed sollte die Zinsen lieber früher als später erhöhen

Wenn die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) beabsichtigt, die Normalisierung der US-Geldpolitik schrittweise anzugehen, sollte sie bald damit beginnen. Die US-Konjunktur zieht nämlich rapide an. Ausgehend von früheren Erfahrungen hätte die Zentralbank vielleicht schon mit der Anhebung der Zinssätze begonnen, gäbe es da nicht die Besorgnis hinsichtlich der langfristigen Folgen der Finanzkrise und einer „Großen Rezession“.

Selbstverständlich ist jeder Konjunktur- und Politik-Zyklus anders und der aktuelle Zyklus unterscheidet sich in einigen wichtigen Punkten von vorangegangenen Zyklen. Insbesondere die niedrige Inflation und eine erhöhte Arbeitslosigkeit deuten darauf hin, dass in der Wirtschaft noch eine gewisse Flaute herrscht und die Fed ihre expansive Geldpolitik länger beibehalten kann, als dies in früheren Zyklen der Fall war. Zudem könnten das geringe Wachstum in Europa sowie die jüngsten geopolitischen Unruhen das US-Wachstum bremsen.

Dennoch kündigen die aktuellen Verlautbarungen der US-Notenbank an, dass die Zentralbank noch einige Monate von Zinserhöhungen entfernt ist und diese in der Folge auch nur schrittweise umsetzen wird. Dies mag zwar angesichts des Ausmaßes der herrschenden Flaute in der Binnenkonjunktur sowie der Unsicherheit hinsichtlich des globalen Umfeldes eine vernünftige Haltung sein, sie ist jedoch mit dem Risiko verbunden, dass die Fed später möglicherweise aggressiver vorgehen muss, als sie sich dies derzeit vorstellt. Dies könnte eine Reihe neuer Herausforderungen für das US-Wachstum und die globalen Märkte heraufbeschwören.

Das wichtigste geldpolitische Instrument der Fed ist derzeit ihre Bekenntnis zu schrittweisen Zinserhöhungen. Dies hat dazu beigetragen, die Zinsen niedrig und die finanziellen Rahmenbedingungen auf einem äußerst günstigen Niveau zu halten. Angesichts des derzeitigen Konjunkturverlaufs rückt der Zeitpunkt, an dem die Fed mit dem Prozess der Anhebung der Zinsen auf normalere Werte zumindest beginnen sollte, allmählich näher. Sollte dieser Prozess nicht gut gesteuert, sondern abrupt und ungeordnet ablaufen, wäre das Risiko von Kollateralschäden erheblich höher.

Wie das letztjährige „Taper Tantrum“ – die Verkaufswelle bei festverzinslichen Anleihen nach der Ankündigung eines allmählichen Endes des US-Anleihekaufprogramms – veranschaulichte, bringen Unsicherheiten in Bezug auf die US-Geldpolitik stets Risiken mit sich. Als Fed-Chef Ben Bernanke die Möglichkeit andeutete, dass die Fed bald den Umfang ihrer Anleihekäufe reduzieren könnte, wurden zahlreiche Anleger hiervon überrascht. Die Marktvolatilität stieg sprunghaft an und bei einem breiten Spektrum von Finanzanlagen waren starke Kurskorrekturen nach unten zu verzeichnen. Obwohl die Fed in der Lage war, den Schaden durch eine neuerliche Bekenntnis zu langfristig niedrigen Leitzinsen zu mildern, hatte dieser Schock lang anhaltende wirtschaftliche Folgen. Insbesondere der Wohnungsmarkt und die Baubranche müssen sich noch vollständig vom starken Anstieg der Hypothekenzinsen erholen.

Wenn die Fed ihre erste Zinserhöhung signalisiert, wird eine glaubhafte Bekenntnis zu einer allmählichen Normalisierung von entscheidender Bedeutung sein, um das Risiko eines neuerlichen Schocks abzumildern. Je länger die US-Notenbank in einem Umfeld anziehenden Wirtschaftswachstums damit wartet, diesen ersten Schritt anzudeuten, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Markt ihre Fähigkeit, schrittweise vorzugehen, anzweifeln wird – insbesondere falls die Inflation weiter ansteigen sollte. Dies könnte zu erheblicher Volatilität führen, gerade in Bereichen wie Unternehmenskrediten und Mortgage Backed Securities, in denen deutlich höhere Zinsen reale wirtschaftliche Folgen haben könnten.

Das Protokoll der geldpolitischen Sitzung vom 29./30. Juli deutet darauf hin, dass bei einer wachsenden Zahl von Fed-Repräsentanten die Besorgnis angesichts des Risikos, zu lange zu warten, allmählich wächst.

Die Bank of England hat die Möglichkeit angedeutet, dass sie früher mit der Anhebung der Zinsen beginnen könnte, um diesbezüglich langfristig ein langsameres Tempo beibehalten zu können. Die Fed hat bislang einen anderen Ansatz verfolgt und ihre offizielle Haltung bekräftigt, dass die Zinsen nach Abschluss ihres Anleihekaufprogramms im Oktober für längere Zeit unverändert bleiben und allfällige Zinserhöhungen schrittweise durchgeführt werden. Jedoch könnte es der Fed angesichts der aktuellen Konjunkturdaten schwerfallen, beide Versprechen einzuhalten. Der beste Weg, die Verpflichtung zu einem schrittweisen Vorgehen einzuhalten, könnte darin liegen, eher früher als später damit zu beginnen.

 

Bildquelle: Goldman Sachs Asset Management [bearbeitet]

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