Plusvisionen

Märkte und Moral // Argentiniens Pleite // Hedgefonds als Wohltäter

Es ist eine Geschichte um Misswirtschaft, Sturheit, Autarkie, Freiheit, Gewissen, Gerechtigkeit, Renditestreben — und Moral. Argentinien ist pleite, mal wieder, ist man versucht zu sagen. Doch so richtig bankrott ist das Argentinien eigentlich nicht. Es will nur nicht seine Schulden an ein paar Hedgefonds zurückzahlen, weswegen das Land von den Ratingagenturen als zahlungsunfähig eingestuft wurde. Tango an den Finanzmärkten: Melancholie, Morbidität und durchaus auch Ernst. Große Gefühle – oder doch nur kaltes Kalkül? Wer führt, wer wird geführt?

Gefühle – gibt es diese überhaupt in der Wirtschaft- und Finanzwelt, dort wo Rendite, Gewinn und Nutzenmaximierung regieren? Wo über allem die ökonomischen Prinzipien thronen, die besagen, aus etwas Vorgegebenen das Maximale herauszuholen oder aus minimalen Mitteln etwas Vorgegebenes zu erreichen beziehungsweise diese beiden Prinzipien zu optimieren. Sie leiten den Homo oeconomicus. Emotionen und gar Empathie sollen für ihn keine brauchbaren Kategorien sein.

Ist Hedgefondsmanager Paul Singer ein unbarmherziger Renditejäger? Als Argentinien 2001 (wirklich) pleite ging kaufte er argentinische Staatsanleihen von der Restrampe für fast nichts (20 Prozent ihres Wertes), wer will schon Schulden von einem Bankrotteur? Singer wollte. Seine Strategie: Während andere Gläubiger auf einen Großteil der Rückzahlung der Schulden verzichtete, klagte er, immer wieder, bis er schließlich bei einem US-Bezirksgericht Recht bekam und dieses Urteil auch von Obersten Gerichtshof in den USA bestätigt wurde. Also pocht Singer (und die anderen Hedgefonds) auf die Auszahlung von 1,5 Milliarden Dollar samt Zinsen und Zinseszinsen, insgesamt geht es um 1.800 Prozent Rendite, das sei nur recht und billig, sagt Singer. Billig wäre das für Argentinien in der Tat, denn würden alle anderen Gläubiger ebenso verfahren, kämen auf das Land Zahlungen in einer Höhe von 120 Milliarden Dollar zu, denn bis 2010 verzichteten 90 Prozent der Gläubiger auf 70 bis 80 Prozent ihres Geldes, all jene könnten nun auf die Idee kommen nachzufordern.

Womit man schnell bei moralischen Fragen ist: Ist eine derartige Rendite gerechtfertigt? Darf einer fordern, wenn andere (zum Wohl des Landes(?) und ihrem Schaden) verzichtet haben? Kann es sein, dass Schulden einfach nicht zurückgezahlt werden? Wer ist im Recht? Wer ist im Unrecht?

Argentiniens Präsidentin Christina Kirchner spricht von Geierfonds, wobei offen ist, ob sie das eigenen Land als eine Art Aas sieht, das nun von den Finanzmärkten gefleddert wird. Argentinien steht längst nicht mehr so schlecht da wie 2002 als es von Präsident Carlos Menem durch eine wirre neoliberale Wirtschaftspolitik abgewirtschaftet hatte und im globalen Finanzlokal nach dem Rausch 200 Milliarden Dollar auf dem Kerbholz standen. Und wenn es recht gut aussieht, dann könnte Argentinien auch seine alten Schulden begleichen – und auch vor den neuen, so wie Singer argumentiert?

Adam Smith, der Godfather der klassischen Nationalökonomie, formuliert einst (1723-1790) das Mantra der hedonistischen und liberalen Wirtschaftsgesellschaft: Handel rational so wie es für deinen eigenen Vorteil am besten ist und das Wohl der Allgemeinheit wird sich von selbst einstellen. Er nannte dies das Prinzip der unsichtbaren Hand des Marktes. Es ist somit legitim und moralisch in Ordnungen seinen eigenen Nutzen zu suchen, so wie es Singer und Kirchner tun? John Stuart Mill fügt später (1803-1873) mit seinen Gedanken zum Utilitarismus – das Streben nach Lust und das Vermeiden von Schmerz – das Glück und eine kulturelle Befriedigung hinzu: „Es ist besser, ein unzufriedener Mensch als ein zufriedengestelltes Schwein zu sein.“ Auch Immanuel Kant (1724-1804) setzt mit seinem Kategorischen Imperativ nicht auf Altruismus (Uneigennützigkeit), ihm ging es um die Pflicht. Tue deine Pflicht und es wird zum Wohle der Gemeinschaft sein. Und Vilfredo Federico Pareto (1848-1923) erdachte sein Gesetz vom wirtschaftlichen Optimum, wonach dieses dann erreicht sein, wenn niemand mehr besser gestellt werden kann, wenn es gleichzeitig dadurch niemand schlechter geht, die perfekte Balance zwischen Individuum (Freiheit), Gesellschaft und Effizienz.

Sorgen Hedgefonds wie jener von Paul Singer für diese Effizienz und handeln – frei – damit auch zum Wohle der Gesellschaft? Tut er gar seine Pflicht? Auch wenn es vielleicht zunächst hart klingt: ja. Leute wie er betreiben auch Wirtschaft- und Finanzhygiene. Sie erinnern Schuldner immer wieder daran, ihre Schulden zurückzahlen – und nicht einfach nur zu machen, wie es so in Mode gekommen ist. Auch wenn es seit Jahrhunderten immer wieder passiert, dass sich Staaten ihrer Schulden durch beschönigende Umstrukturierungen oder Währungsreformen entledigen. Letztlich leidet darunter vor allem die Bevölkerung, wie in Argentinien 2001 als private Guthaben und Auslandschulden sich in quasi Nichts aufgelöst haben. Hier braucht es Grenzen, und sei es das Renditestreben Einzelner, um die Gesellschaft vor Schaden zu bewahren. Und Christina Kirchner? Auch sie handelt gewissermaßen im Sinne der Wirtschaft- und Finanzdisziplin moralisch, wenn sie Hedgefonds mit ihren wildesten Spekulationen in ihre Schranken weist. Man sehen, welchen Einfluss die Ereignisse in Argentinien auf den Handel mit Hochzinsanleihen, Schrottanleihen und Credit Default Swaps (CDS – Kreditausfallversicherungen) haben werden. So gesehen hat die unsichtbare Hand in Argentinien nicht vorbeigegriffen und der Moral ist auch Genüge getan.

 

Bildquelle: urbanshit.de

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