Plusvisionen

Demografie und Investments

Am 15. September 2012 gab es in Bayern verschiedene Volksentscheide. Einer davon: „Die Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen“. Das kommt harmlos daher – klar, warum nicht, doch der Volksentscheid ist ein Blick in die demografische Zukunft des Landes und der Republik. Ziel sei die „Förderung und Sicherung gleichwertiger (nicht gleichartiger) Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen als Staatsziel in die Verfassung aufzunehmen. Dabei soll klargestellt werden, dass dies für ganz Bayern gilt, und zwar für ländliche und städtische Gebiete gleichermaßen.“ Bei gut 63 Prozent Wahlbeteiligung erhielt der Entscheid rund 90 Prozent Ja-Stimmen.

Mein Schlafzimmer gehört mir

Deutschland vergreist. Die Bevölkerung schrumpft. Keine neue Erkenntnis, aber eine oft negierte. Auf der diesjährigen Jahrestagung des Finance Form München hat auch Herwig Birg, einer der profiliertesten Demografie-Experten des Landes, gesprochen. Er zählt – gefühlt – nicht unbedingt zu den Optimisten, was die demografischen Aussichten für Deutschland angehen. Er spricht biblisch, wohl um gleich das gesamte Ausmaß der möglichen Wirkungen deutlich zu machen, von den „Fünf demografischen Plagen“. Seine Prognosen:

Wenn die Geburtenrate so bliebe wie heute (1,25) und keiner aus anderen Ländern mehr zuwandern würde, dann sänke die Bevölkerungszahl Deutschlands bis zum Jahre 2050 auf 50,7 Millionen und bis 2100 auf 24,3 Millionen Menschen. Zudem setze eine „demografische Alterung“ ein: Das Medianalter in Deutschland betrage derzeit 38 Jahre. Jeder zweite Mann sei älter als 37 und jede zweite Frau älter als 40 Jahre. Bis zum Jahre 2050 werde jeder zweite Mann älter als 51 Jahre und jede zweite Frau älter als 55 Jahre sein. Dabei sei schon unterstellt, dass jährlich 150.000 jüngere Menschen nach Deutschland zu wandern.

Die Zahl der Jugendlichen unter 20 Jahren nehme bis 2050 von jetzt rund 17 Millionen auf 9,7 Millionen ab, gleichzeitig wachse die Zahl der über 80-jährigen von 3,0 auf 10 Millionen. Die Gruppe der unter 40-jährigen sei heute noch größer als die Gruppe der über 60-jährigen – 42,3 Millionen zu 17,9 Millionen. In Zukunft werde es umgekehrt sein.

Das habe natürlich Auswirkungen auf die Sozialsysteme und vermutlich auch Finanzmärkte. Um das heute Rentenniveau von 70 Prozent zu halten, sei bei steigender Lebenserwartung eine Erhöhung des Beitragssatzes auf rund 46 Prozent notwendig. Alternativ könnte auch das Rentenniveau auf 30 Prozent abgesenkt werden. Wenn dies beides keine Option sei, könnte auch das Ruhestandsalter angehoben werden auf 65 bis zum Jahre 2018, auf 70 bis zum Jahre 2036 und schließlich auf 73 bis zum Jahre 2074. Oder die dritte Alternative: Einwanderung. Um die heutigen Niveau zu halten wäre nach Berechnungen der UN für Deutschland bis zum Jahre 2050 eine Netto-Einwanderung von insgesamt 188 Millionen Menschen notwendig.

Engelbert Docker, Professor für Finanzen und Unternehmensstrategie an der WU-Wien, der auch beim Finance Forum München sprach, beschäftigt sich mit den Auswirkungen von demografischen Veränderungen auf die Finanzmärkt und die Wirtschaft. Seine Thesen: Leben immer mehr Menschen über 65 Jahre in einer Bevölkerung, kann sich das wachstumsschwächend auswirken. Die Gruppe der 20- bis 39-jährigen habe dagegen einen positiven Einfluss auf die Wirtschaft. Aktien performen besser, wenn die Altersgruppe der 35 bis 59-jährigen groß ist. Bei Bonds verhalte es sich ähnlich, nur mit 5 Jahren zeitlicher Verzögerung.

Das mag zynisch klingen, aber wir werden uns mit den Auswirkungen der demografischen Veränderungen beschäftigen müssen, ohne Bevölkerungsgruppen auszugrenzen.

Investieren im Entleerungsgebiet

Ein Beispiel: Ich selbst komme aus einem „Entleerungsgebiet“ im äußersten Zipfel Bayerns. Den Begriff Entleerungsgebiet hat Birg geprägt. In der Ortschaft muss das Wasser- und Kanalnetz erneuert beziehungsweise erhalten werden. Führer wurden die Gebühren dafür pro Kopf umgerechnet. Da es nun immer weniger „Köpfe“ gibt, beschloss der Gemeinderat einen Systemwechsel. Künftig wird nicht mehr pro Kopf, sondern nach Geschossfläche abgerechnet. Immobilien können nun mal nicht so schnell wegziehen. Und sollte jemand auf die Idee kommen seine Immobilie (herangezogen werden nur die Eigenheimbesitzer) abzureißen, dann wird ein fiktives Haus beziehungsweise ein fiktive Geschossfläche angenommen. So viel schon mal zu den Vorteilen von Immobilienbesitz als Wertanlage außerhalb der Zuzugsgebiete. Natürlich könnte man jetzt sagen, Mieter werden über eine höhere Miete herangezogen oder die Kosten kommen über einen höhreren Mietzins wieder herein, doch höhere Mieten sind in solchen Gegenden in aller Regel nicht durchsetzbar.

Es wird zu Umverteilungen kommen – siehe Volksentscheid. Wie diese allerdings konkret aussehen und welche Auswirkungen es auf die Finanzmärkte hat, ist nur schwer zu fassen, so konkret auch die prognostizierten Bevölkerungszahlen sind. Klar scheint: Ein ältere Bevölkerung konsumiert anders, spart/entspart anders und investiert anders (in die Zukunft). Man denke nur an Stuttgart 21 als größere Infrastrukturmaßnahme (auch wenn das noch viele andere Gründe gab/gibt). Allerdings sollte man Trends auch nicht einfach in die Zukunft fortschreiben. Vielleicht machen wir ja alles künftig ganz anders.

 

Bildquelle: Dieter Schütz  / pixelio.de

Exit mobile version