Plusvisionen

Union Jack Ass // Wenn die Briten die EU verlassen

Wir leben in einer gelikten Gesellschaft. Andere Meinungen lassen wir immer weniger zu. Nur was uns gefällt taucht noch in unserem täglichen Nachrichtenstrom auf. Es gibt nur noch Follower und Freunde. Unbequemes wird ausgeblendet. Wenn einer mit gegenteiligen Ansichten nervt, wird er ent-freundet oder ent-folgt. Früher hieß das: „Geh‘ doch rüber.“ In der Politik scheint das nicht anders zu sein.

In der Europäischen Union (EU) wird derzeit um einen neuen Kommissionspräsidenten gerungen. Dabei war zumindest für uns Deutsche klar: Es gibt sogenannte „Spitzenkandidaten“. Einer war der Sozialdemokrat Martin Schulz und der andere Jean-Claude Juncker von den Konservativen. Die Konservativen haben die Wahl gewonnen, also wird Juncker neuer Kommissionspräsidenten – so einfach. Aber einfach ist in der EU nur wenig. Die Briten sind nicht einverstanden mit Juncker. Er stehe für das alte Europa, sagen die Briten, für Verkrustung und nicht für Frische. Von Juncker stammt auch das denkwürdige Zitat: „Wenn es ernst wird, muss man lügen.“ Tatsächlich verkörpert Juncker das bekannte Europa wie kaum ein anderer – und es gibt durchaus (sehr) nachvollziebare Argumente Juncker nicht gut zu finden.

Die Briten wollen Juncker verhindern, drohen mit Austritt aus der EU. Ist das wieder so eine Margaret-Thatcher-Nummer? „We want our money back!“ Wird wieder mit der Handtasche gefuchtelt? Sonderbehandlung? Sonderrabatt? Sonderzahlung für Deutschland, wenn die Krauts schon Juncker wollen, dann sollen sie auch zahlen? Wir wollen ihn auch nicht unbedingt, aber er ist gewählt, zumindest irgendwie. So richtig nicht, klar, weil er nicht auf dem Wahlzettel stand, aber dennoch, so wurde es vermittelt in unzähligen TV-Wahlkampfarenen. Die beiden, Schulz und Juncker, stehen zur Wahl. Jetzt alles nur eine Farce? Damit ginge wohl der letzte Rest Europawahlmotivation verloren, so recht die Briten mit ihren Argumenten auch haben mögen.

Das Problem: Den Briten nimmt man die Sorge um Europa nicht ab. Zu oft schon haben sie des eigenen Vorteils Willen genörgelt und blockiert. Gefühlt wollen sie wenig bis gar nichts von der EU wissen. Frönen die Briten auch diesmal wieder ihrer „special relationship“ mit den USA, wie einige Verschwörungstheoretiker behaupten? In Wirklichkeit sei ein Austritt Großbritanniens aus den USA forciert, weil die Vereinigten Staaten kein Interesse an dem starken Europa (und starken Euro) hätten. Das Finanzzentrum London solle enger an die Wall Street als an Frankfurt, wo die Europäische Zentralbank (EZB) sitzt, gebunden werden. So könnten die USA die Weltfinanzströme (noch) besser kontrollieren. Schnell geht einem deshalb ein stammtischeskes „Piss off“ über die Lippen. Wenn ihr nicht wollt, dann geht halt, wir kommen schon ohne euch zurecht.

Sicher, aber Europa tut die britische Sichtweise, so schräg und anstrengend sie auch sein mag, oft sehr gut. Die Briten blicken distanzierter auf Europa, denken marktwirtschaftlicher und eigenverantwortlicher. Sie wollen nicht alles bis ins Letzte regeln, was gut ist. Europa sollte einiges dafür tun, dass die Briten in der EU bleiben, aber nicht alles.

Wahrscheinlich wäre der Schaden eines EU-Austritts für Großbritannien weitaus größer als für den Kontinent: Das Wohlstandsniveau würde vermutlich auf einen Schlag um bis zu 5 Prozent sinken. UK wäre plötzlich isoliert, müsste sich nach neuen Handelspartnern umsehen und wäre gezwungen für einen Großteil seiner EU-Exporte Zölle zu entrichten. 44 Prozent der britischen Ausfuhren gehen aktuell in die EU. Die britische Autoindustrie, die letzte nennenswert verbliebene Industrie im Land, fertigt 77 Prozent für das Ausland, wovon knapp die Hälfte in die EU gehen. Viele Autokonzerne würden ihr UK-Engagement auf einer politisch und wirtschaftlich isolierten Insel wohl überdenken und Investitionen würden gestoppt. Ein dauerhaftes Desaster und nicht nur ein kurzer Schock.

Aufgrund seiner ausradierten Industriestrukturen lebt die britische Wirtschaft zu drei Vierteln von Dienstleistungen, was sicher kein Vorbild für Europa ist. Überspitzt könnte man sagen, kein Land wird reich davon, wenn sich seine Bürger gegenseitig Pizza ausliefern. Nur technologisch hochwertige Güter lassen sich teuer ins Ausland verkaufen. Viel davon hat Großbritannien nicht zu bieten. Seine Güter sind das derzeit noch Bank-Dienstleistungen. Doch mit einem Austritt würde auch das das Finanzzentrum London, die Herzkammer der britischen Wirtschaft, zugunsten Frankfurts verlieren. London könnte dann von einem Offshore-Finanzzentrum für Hedgefonds halluzinieren, eine Art unterkühlt-neblige Caymans.

Selbst von den schrillen Briten ist kaum vorstellbar, dass sie sich mit einem EU-Austritt ins Aus manövieren. Auch die USA werden kein wirkliches Interesse daran haben, dass ihr enger Partner weit weg von allen Entscheidungen auf einer einsamen Insel sitzt. Uns Deutschen sollten daran gelegen sein, dass Großbritannien der EU als marktwirtschaftliches Korrektiv erhalten bleibt. Aber man wird sehen. Nichts ist einfach in Europa.

 

[highlight] FTSE-100-Index: Neue Höhen noch nicht erreicht[/highlight][divider_flat]

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Bildquelle: VisitBritain

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